Die Schamtaler

Forum
8 answers in this topic
M****b
Es war einmal ein Jüngling, der lebte in einem kleinen gottesfürchtigen Dorf zusammen mit seinem Vater, der Witwer war, und dessen Knecht in einem Häuschen. Der Vater und der Knecht aber waren in heimlicher Verbundenheit einander zugetan. Dies durfte niemand wissen, denn sie schämten sich dafür vor den anderen Dorfleuten, und weil Furcht und Scham eine große Last sind, verstarben jene zwei Männer lange vor ihrer Zeit, denn ihre Herzen mochten nicht mehr schlagen, wo der Frohsinn ihrer Zuneigung stets verborgen bleiben musste.

Der Jüngling blieb allein zurück und war so arm, dass er aus dem Häuschen ziehen musste und nichts mehr hatte als die Kleider auf der Haut und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Er sagte zu sich:

»Hier, wo Angst und Scham meinem Vater ein frühes Grab beschert haben, ist meines Bleibens nicht. Soll auch ich mich verstecken müssen, wenn ich etwas für einen anderen Mann empfinde? Nein. Zu einem Jüngling bin ich herangewachsen, nun will ich mich umsehen in der Welt, ob es nicht Dörfer gibt, die weniger zimperlich sind.«

Auf solche Art sprach er sich Mut zu und ging, dem Glück vertrauend, ins Feld hinaus. Das Dorf lag schon weit hinter ihm und ein dichter Wald kam in Sicht, als er einem alten Mann begegnete. Der sprach ihn an:
»Jüngling, teile mit mir einen Bissen Brot, ich bin gar hungrig.«

Der Jüngling war nicht geizig und reichte dem Alten das ganze Stückchen. Der dankte ihm sehr und sagte:
»Um mich erkenntlich zu zeigen, will ich dir etwas raten: Geh geradewegs durch diesen Wald, auch wenn jetzt die Dunkelheit hereinbricht. Du darfst dich aber nicht nach hinten umsehen! Verliere nicht den Mut, es soll dein Schaden nicht sein!«

Der Jüngling nahm den Rat an und verabschiedete sich von dem Alten. Er fand einen Weg, der direkt durch den Wald führte, und wanderte fort, ohne sich umzusehen. Die Sonne war verschwunden, im Gebüsch raschelte und knisterte es und die alten Bäume knarrten.

Da kam ihm ein nackter Bursche entgegen, der war lang und groß gewachsen und seine Brust von dichtem Haar bedeckt. Er hielt die Hände vor seine Schamgegend, denn selbst in der dunklen Nacht wollte er niemandem seine Blöße zeigen. Der Jüngling wunderte sich und der lange Bursche erklärte:

»Du wirst nicht glauben, wie mir geschah! Ich sammelte Reisig, um damit meinen kleinen Ofen anzufeuern. Der Mittag drückte schwül, also rastete ich und zog mir die verschwitzten Kleider aus. Ich legte mich ins Gras, um zu ruhen, und ließ die Sonne auf meine nackte Haut scheinen, denn beide kennen sich schon lang und sind einander zugetan. Seit jeher ist die Sonne mir ein Liebhaber; sie erhellt mein Antlitz und streichelt mit ihren Strahlen meinen Hals. Wie ich dort lag zwischen den Bäumen, glitt sie hinab in die heimliche Kuhle zwischen meinen Beinen, wo es immer wärmer wurde. Die Sonnenstrahlen beheizten mit Glut diese Stelle, die sonst sooft dem Tageslicht verborgen bleibt, bis es mir war, als wenn es dort unten kochte und brodelte und es weiß wie Dampf empor zischte. Ein brennendes Gefühl loderte in mir, breitete sich mit einem Male rasend aus, wurde zur gewaltigen Feuersbrunst und erlosch im selben Augenblicke ganz friedlich. Ich muss danach eingeschlummert sein, und wie ich erwachte, hatte jemand meine Kleider gestohlen! Nun irre ich nackt hier im Wald herum, denn völlig entblößt kann ich nicht in mein Dorf zurückkehren. Niemand dort hat sich je getraut, blanke Haut zu zeigen, und ich mag nicht der Erste sein.«
70
M****b
Das dauerte den Jüngling und er fragte, ob er mit einem Stück Kleidung aushelfen könne.

»So gib mir dein Halstuch, damit ich mir in der Nachtluft nicht den schlimmen Husten hole, und deinen Hut, damit ich damit meine Schamgegend bedecken kann; das wird mir schon reichen.«

Er wollte aber die Hände nicht von seiner Blöße nehmen, weil er sich darum schämte. Da wickelte ihm der Jüngling selbst das Tuch um den Hals und stand dabei so nah an dem Burschen, dass er das dichte Brusthaar an seiner Nasenspitze fühlen konnte. Da war ihm, als ob noch immer warme Sonnenglut von dessen nackter Haut strömte. Nachdem das Halstuch umgelegt und der Knoten nicht zu fest gebunden war, reichte er ihm seinen Hut. Und wie der lange Bursche den Hut über seine Scham stülpte und von da an beide Hände frei hatte, der Hut aber nicht herabfiel, erkannte der Jüngling, warum sein neuer Freund zuvor alles bedeckt gehalten hatte. Sie mussten darüber lachen und gingen gemeinsam den Weg weiter.

Da stürzte plötzlich ein Halbstarker aus den Sträuchern, der schimpfte und jammerte, ohne die anderen beiden zu bemerken. Als sie ihn grüßten, erschrak er und sprang hinter einen Baum.
»Seht nicht zu mir, ich bin splitterfasernackt!«, rief er.

»Der Mond scheint nur fahl durch die Äste, du brauchst dich nicht zu schämen«, erwiderte der lange Bursche.

Der Jüngling aber fragte:
»Du bist bereits der Zweite, der mir hier völlig entblößt begegnet. Was stieß dir zu?«

Der Halbstarke trat hinter dem Baumstamm hervor. Er war etwas kleiner und gedrungener, aber deutlich kräftiger gebaut als die beiden anderen und erzählte, dass er in dem kleinen Waldsee gebadet habe.

»Meine Glieder und das Wasser können nicht voneinander lassen, müsst ihr wissen. Sobald ich an das Ufer komme, umspielen die kleinen Wellen meine nackten Zehen, dass es wohlig kribbelt. Das kühle Nass steigt an meinen Beinen hinauf und klettert bis an meine Brustknospen, die sich bei seiner Berührung eigentümlich verhärten. Und lege ich mich hinein, umschließt der See mich wie einen alten Freund. So geschah es auch diesmal; das Bad erfrischte mich, das Wasser glitt mit jedem Schwimmzug an meiner Haut entlang und die Wellen kitzelten mich zwischen meinen Beinen, dass vor lauter Prickeln die weiße Gischt nass und ungestüm aus mir heraussprudelte!«

Als er jedoch ans Ufer zurückgekommen war, hatte irgendjemand all seine Kleider gestohlen, und da er in diesem Zustand nicht in sein Dorf zurück wollte, hatte er frierend und fluchend die Zeit im Walde verbracht und vergeblich seine Kleider gesucht.

»Nun frieren mir die Füße, und auch die Brust ist so eisig, dass ich mich für meine hart abstehenden Knospen schämen muss.«

Der Jüngling hatte Mitleid mit dem Halbstarken, zog seine Stiefel und sein Wams aus und reichte ihm beides hin. Der lange Bursche aber staunte:
»Zwischen Bauch und Knie friert es dich wohl nicht? Da hängt es frei herum an dir und du empfindest darüber keine Scham?«

Der Halbstarke winkte ab.
»Dort reicht es, meine Hand vorzuhalten. Meine Füße und Waden und auch meine Brust aber sind von jeher schöner als bei anderen, so sagte die Mutter, deshalb soll ich sie vor gierigen Augen hüten.«

Der lange Bursche verstand gut, denn auch seine Mutter hatte ihm geraten, mit seinen Reizen sparsam umzugehen. Nur der Jüngling schüttelte still den Kopf darüber, musste er doch daran denken, was zu viel Scham aus seinem Vater und dessen Knecht gemacht hatte. Nun gingen sie zu dritt einher und waren bereits ein gutes Stück vorangekommen, als sie einen zierlichen Knaben am Wegesrand hocken sahen, der bitterlich weinte. Auch er war nackt, denn man hatte ihm ebenfalls die Kleider geraubt.
40
M****b
»Ich kam in den Wald, um im Winde zu spielen, denn nichts Schöneres gibt es, als sich die Brisen durchs Haar tanzen zu lassen und die wohligen Schauer an den Armen, Beinen und am Rumpfe zu spüren. So lief ich durchs Gehölz und ließ mich jagen, bis es in meinem Innern einem Wirbelsturm gleich zu drehen begann und weiße, kleine Wölkchen aus mir herausstießen, während ich lauthals pusten musste vor Aufruhr und Mühe. Später sah ich mich um und fand meine Kleider nimmer wieder.«

Während er so sprach, wiegte er sich, als ob er noch immer im Winde jage. Seinen wohlgeformten Rücken, der in zwei schöne, runde Gesäßhälften endete, wollte er aber bei der Heimkehr nicht dem ganzen Hof zeigen müssen.

»Von jeher ist meine Rückseite von solcher Schönheit, dass sie den Mond hervorlockt, der voller Freude darauf scheint«, sagte er und meinte es doch nicht prahlerisch. Tatsächlich fielen helle Mondstrahlen auf ihn, als ob der Himmelstrabant Sehnsucht nach dem runden jungen Fleisch hätte. »Komme ich aber in diesem Zustand zum Hof, wer weiß, wie die Knechte und Mägde stieren und geifern werden«, sorgte der Knabe sich, »da will ich lieber hier im Wald bleiben, bevor ich mich meiner vor aller Welt schämen muss.«

Der Jüngling nahm den zierlichen Knaben liebevoll in den Arm, streichelte den nackten Rücken und tröstete ihn. Hernach zog er sich sein Hemd aus und reichte es ihm. Dem Knaben passte es gut, und sein rundes Gesäß wurde knapp überdeckt.

»Nun seid ihr alle zumindest zum Teil wieder bekleidet, und mir bleibt noch meine Strumpfhose«, sagte der Jüngling, »nun lasst uns weitergehen!«

Sie kamen an eine Waldlichtung, und weil unter dem Hemd noch immer ein Stückchen des schönen Knabengesäßes hervorlugte, beschien der Mond den Platz hell, als ob er sie darauf willkommen heißen wollte. Vier junge Birken standen da, an die sich die Wanderer lehnten und einander ausgiebig betrachteten. Sie beugten und streckten sich, um mehr voneinander besehen zu können, trauten sich aber nicht, auch nur einen einzigen Schritt auf den jeweils anderen zuzugehen. So schien es, als ob sie sich zwischen den Bäumen tänzerisch bewegten, um von der Kälte der Nacht nicht krank zu werden.

»Seht uns an, ein jeder zeigt nackte Haut und verbirgt doch wieder einen anderen Teil. Darüber kann man lachen, man kann es aufreizend finden, nur schämen sollte sich nun keiner von uns.«

So sprach der Jüngling und die anderen fanden Gefallen an seinen Worten. Sie fassten Mut, neckten einander und tummelten sich bald ausgelassen auf der Lichtung. Da klang es plötzlich wie helles Silber in ihren Ohren. Erst einmal, dann zweimal, dann war es ein fröhliches Geklimper.

»Fallen denn die Sterne vom Himmel, oder was klingelt und glänzt dort so vom Waldesrand her?«, fragte der Jüngling und lief auf die Stelle zu, die der Mond beschien.

Wie er dort ankam, lagen da unzählige blanke Taler.

»Ein Wunder«, jubelte er, »Freunde, kommt her! Der Himmel segnet uns!«

Eine Stimme im Unterholz ertönte und sprach:
»Es ist der Himmel nicht, der Sterne hinunterwirft und zu harten Talern macht, sondern ich bin es nur, der Alte vom Waldesrand. Die ganze Nacht bin ich euch gefolgt und konnte mich heimlich an euch jungen Männern ergötzen, ohne mich schämen zu müssen. Die Taler hier sind mein Dank!«
40
M****b
Dann verschwand der Alte, die Taler aber wurden fleißig von den vieren eingesammelt. Und wie die Sonne aufging, fanden sie im Unterholz auch die gestohlenen Gewänder wieder; die nämlich hatte der Alte in seiner Gier nach nackter Männerhaut geraubt. Die neuen Freunde kleideten sich lachend an, nur der Jüngling blieb nachdenklich:

»Denkt euch, wir haben es Taler regnen lassen können, indem wir unsere Kleider abwarfen und tanzten. Wenn dies einmal gelang, warum nicht wieder? Nicht einmal alle Blöße müssen wir zeigen, und können dennoch andere Menschen erfreuen. Wollt ihr nicht mit mir gehen und daraus ein Geschäft machen?«

Sie beratschlagten lange, wie sie vorgehen wollten, und gründeten schließlich eine Tanzgruppe. Sie zogen von Dorf zu Dorf, wo sie nachts im Mondenschein ihre Kunst vollführten, und ein jeder, dessen Auge sich daran weidete, musste ihnen blanke Taler zuwerfen. Und schien einmal der Mond nicht auf ihren Tanz, so hob der Wind des zierlichen Knaben Hemd in die Höhe und legte seine Rückseite bloß, damit die schönen Gesäßhälften die Strahlen des Himmelstrabanten hinter den Wolken hervorlockten.

So brachten die Freunde Enthüllungstanz in die Welt, wo Kleidungsstück für Kleidungsstück abgelegt, aber niemals alle Haut gezeigt wird.

Und wenn die vier Freunde nicht gestorben sind, so tanzen sie noch heute, begleitet von Sonne, Mond, Wassern und Wind. Und in besonders schamhaften Gegenden, wo tagsüber die Tugend herrscht, erhalten sie nachts noch die meisten Taler.

ENDE

(aus: "Vierzig schwüle Nächte" Band 5, erhältlich als e-book über tolino u.a.)
edited twice80
trueffelschwein62 yrs
Toll geschrieben ...so POetisch
40
a member
Klasse ! Du kannst was und liebst offenbar Medodie und Rhytmus von Märchen.
40
a member
teilweise nicht zu lesen, da du keine Zeilenabstände gemacht hast, da kann man dann nur raten bevor man die nächsten zeilen lesen kann
01
Andreas-Auf-Trieb53 yrs
Ich frage mich gerade, wie wohl die weitere Geschichte verlaufen wäre, hätte man vor 150 Jahren den Kindern die Märchen dieses Forums vorgelesen, statt der Versionen wie wir sie von den Gebrüdern Grimm, Herrn Andersen, und anderen kennen. Geschichten voller Lebensfreude, voller Mut auf Entdeckungslust unter, und erst recht über der Bettdecke... Unserer Geschichte hätte es sicher gut getan.

Auch das Märchen von den Schamtalern hat mir wieder gut gefallen, Du bist sprachlich sehr begabt, und ein virtuoser Umgang mit Sprache ist im Internet ja nicht gerade üblich.

Weil so gut geschrieben, und überschaubar kurz, hat es mich auch nicht gestört, daß diemal kein stolze Mannespracht in liebeshungrige Höhlen versenkt wurde.

Wenn dereinst alle großen Märchen "optimiert" sein werden, wären ergänzende Illustrationen ein weiteres tolles Projekt. Du, oder ein anderer Nutzer haben nicht zufällig ein Talent für dampfend heiße Märchenillustrationen mit augenzwinkerndem Humor !?
30
M******b
Rolli-Bear schrieb:
teilweise nicht zu lesen, da du keine Zeilenabstände gemacht hast, da kann man dann nur raten bevor man die nächsten zeilen lesen kann


Sei doch mal dankbar bitte. Hier gibt es nicht immer so schöne Geschichten zu lesen.
Da kann man gerne mal wegen der Interpunktion Abstriche machen.
10
QuoteEditDeleteRecoverRemoveMove