Das Dukaten-Spritzerle

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M****b
Ein König und eine Königin hatten einen Sohn. Er hatte bereits das Jünglingsalter erreicht und war von einnehmender Gestalt, sodass die Königin schon überlegte, ob seine Hand an diese Prinzessin oder jenen Prinzen versprochen werden könnte. Allein der König sagte immer:

»Lass deine Gedanken! Unser Sohn wird schon heiraten, sobald er vollends Mann geworden ist. Er wird Braut oder Bräutigam schon selbst finden.«

Einmal spielte der Prinz im Schlosse Ball und der Zufall wollte, dass der Ball an das Fenster rollte, das in die Hinterhöfe der Handwerker zeigte. Dort war gerade ein alter Bildhauer damit beschäftigt, für das Abbild eines jugendlichen Jägers, das er mit eigenen Händen aus Lehm und Ton geschaffen hatte, einen geeigneten Platz zu finden. Der irdene Jüngling war nackt und trug nichts weiter bei sich als eine Armbrust und einen Köcher, und auch der Bildhauer hatte ob der Sommersonne Schürze und Rock abgelegt, da er sich innerhalb seiner Hofmauern für unbeobachtet hielt. Der Prinz aber konnte den Blick nicht mehr von dem Bildhauer wenden, denn der Gegensatz zwischen den festen Formen der Figur und den fettigen Falten des Greis rief in ihm zugleich Ekel wie auch Erheiterung hervor. Wie nun der Bildhauer begann, unter seine Schwarte zu greifen und umständlich nach seinem Gemächt suchte, musste der Prinz auflachen.

»Will er seine dunklen Altersflecken mit dem letzten Saft seiner Lenden weißen?« gluckste er. »Wenn der Jäger lebendig wäre, wie würde er beleidigt sein, dem gaffenden Auge eines Lustgreises gereichen zu müssen!«

Er trat näher ans Fenster und öffnete es, ganz leise, damit der Alte im Hofe nichts merkte. Belustigt verfolgte er das Mühen des Bildhauers, doch plötzlich verfinsterte sich seine Miene. Er hatte den irdenen Jäger näher betrachtet und stellte fest, dass dessen Gesichtszüge und Statur, ja selbst die Form und Länge des entblößten Gliedes mit ihm selbst völlig übereinstimmten.

»Der Bildhauer muss mich heimlich beobachtet haben, wenn ich in meinem Gemach bei offenem Fenster ins Bad steige«, erkannte er und war empört. »Er hat, ohne mich um Erlaubnis zu fragen, ein Bildnis nach meiner Erscheinung geschaffen, um sich frevelhaft daran zu ergötzen!«

Während er so dachte, griff nach seinem Ball und warf ihn in den Hinterhof, um das Vergnügen des Alten zu stören. Da flog das runde Ding durch die Luft und stieß an die Tonfigur, dass sie umfiel und in tausend Scherben zerbrach. Der Bildhauer sah auf, um zu erfahren, wer ihm den Streich gespielt habe, und als er den Prinzen erblickte, rief er:

»Sprich, stolzer Prinz, warum tust du diese Tat?«
Der Prinz lehnte sich aus dem Fenster und rief zurück:
»Das fragst du noch, Elender? Du stiehlst mein Antlitz und verwendest es, um dich daran schändlich zu erfreuen.«

»Geschmeichelt solltest du dich fühlen, dass ein Künstler sich von deiner Schönheit zu dieser Schöpfung hat beflügeln lassen«, sagte der Bildhauer. »Stattdessen bist du auf Zank und Zerstörung aus. Sollte in meinen hohlen Figuren, die ich nach deinem Vorbild schuf, mehr Liebe und Großmut stecken als in deinem Herzen?«

Die Worte des Bildhauers beeindruckten den Prinzen nicht.
»So gibst du zu, noch mehr Abbilder von mir zu besitzen? Hole sie herbei, ich will sie alle zerschlagen, bevor sich noch weitere Greise ihr müdes Auge daran weiden.«

Dem Künstler blieb nichts übrig, als all jene Statuen vor den Prinzen zu bringen, die er heimlich seiner Gestalt nachempfunden hatte. Es waren zehn an der Zahl, aber nur neun Male schwang der Prinz den Arm und warf mit seinem Ball auf die Figuren, um sie zu zerschmettern. Als er den Arm beim zehnten Male hob, keuchte er erschöpft:

»So viel Kraft aufzuwenden, bin ich nicht gewohnt. Alter, du magst selbst dieses zehnte Abbild meiner Schönheit vernichten. Tust du es nicht, kommst du in den Kerker.«
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M****b
Er reichte den Ball dem Bildhauer, doch der nahm ihn nicht an.
»Verlange von einem Künstler nicht, dass er seine eigenen Werke zerstören solle«, bettelte er.

»So entsorge es auf andere Art«, befahl der Prinz. »Nur muss es fort von hier, ein für alle Mal!«

Und er stampfte mit dem Fuß, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Traurig nahm der Alte die zehnte Statue und wickelte sie ihn einen schmutzigen Kohlensack.

»Deine mangelnde Herzensgüte straft deiner einnehmenden Gestalt Lügen, Prinz«, sagte er. »Weil du meine Kunst nicht schätzt und mir die wenigen Freuden der Lust nicht gönnst, sollst du kein Liebesglück finden, bis du nicht ebenso schlimme Schmerzen und Qualen erduldet hast, wie ich es eben tat.«

Als der Prinz das hörte, fing er sich zu wundern an und fragte den Greis, was er damit meine. Der aber nahm stumm seine Schürze in die Hand und sammelte darin die Scherben auf; den Prinzen aber würdigte er keines Blickes mehr.

Nach dieser Zeit war der Prinz immer trauriger und hatte wirklich keine ruhige Stunde mehr, denn die Worte des Bildhauers lagen ihm stets im Sinne und verdarben ihm jede Unterhaltung und sogar den Schlaf. Er schlurfte durch die Gänge des Schlosses, seufzte und frug sich, was die Liebe sei und welche Qualen ihm bevorstanden.

Seinen Eltern blieb der verwirrte Zustand ihres Sohnes freilich nicht verborgen. König und Königin bemühten sich jedoch vergeblich, ihn zu erheitern, und mussten tatenlos zusehen, wie der Prinz vor Traurigkeit immer matter und magerer wurde.

Der alte Bildhauer indes nahm das Bündel, in welches das letzte Bildnis des Prinzen eingewickelt war, auf seine krummen Schultern und verließ seine Werkstube. Er ging und ging, tagaus und tagein, bis er endlich an den äußersten Rand des Landes gelangte. Dort stellte er sich auf den Marktplatz und hoffte, irgendjemand möge ihm seine Tonfigur abkaufen, und betete, niemand würde darin das Antlitz des Prinzen erkennen.

Nun aber wollen wir Prinz und Bildhauer für eine Weile verlassen und uns umsehen, wer eigentlich in jenem Dorfe lebte, das ganz am Rande des Landes lag. Freilich gab es den leckermäuligen Bäcker, den feisten Metzger und den reichen Schulzen, aber es lebten auch arme Leute dort, denen es nicht so gut ging. Zwei davon waren die Schusterbrüder, zwei Waisenjungen, die vom Morgen bis zum Abend in die Hände spucken und emsig schaffen mussten, um leben zu können.

»Lass mich die Stiefel und Schuhe beschlagen«, sagte der Ältere zum Jüngeren, »während du die Pantoffeln zusammennähst und die Sandalen flichtst.«

Das war dem jüngeren Schuster recht, denn seine Hände waren zart und die Arme schlank, wie es bei manchem Manne nun einmal so ist, und er taugte weder zum Bohren mit der Ahle noch zum Schlagen mit dem Hammer. Er war aber mit der Einteilung der Pflichten zufrieden, denn aufs Nähen und Flechten verstanden sich seine zierlichen Finger, und den groben Stiefeln, denen sich sein Bruder gern und hingebungsvoll widmete, konnte er nichts abgewinnen. So gingen beide ihrem Handwerk nach, allein es gab nur wenige Leute, die sie aufsuchten und ihren Dienst in Anspruch nahm. Da ergriff der Ältere von Neuem das Wort:

»So geht es nicht weiter. Wollen wir nicht Hungers sterben, müssen wir unsere Ware auf dem Markt anbieten. Geh, mein Brüderle, und verkaufe so viel du kannst. Brot und Käse sollst du vom Gewinn erstehen. Ich habe noch zwei Stiefel, deren Schaft ich richten muss.«

Sprach's und streichelte über zwei schwarze Stiefel, die auf seiner Werkstatt standen und darauf warteten, dass er tüchtig spucke, um sie zum Glänzen zu bringen. Der jüngere Schuster gehorchte, nahm von den Sandalen ein besonders schönes Paar und machte sich auf den Weg. Nun traf es sich, dass er den Markt erreichte, als just der alte Bildhauer seine Tonfigur aus dem Bündel zog.
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M****b
Da verschlug es beim Anblick des schönen Gesichts dem Schusterjungen die Sprache. Solch ebenmäßige Züge, solch edle Linien hatte er noch nirgends gesehen. Und die vollständige Nacktheit des irdenen Jünglings verwirrte seine Sinne noch mehr – ihm war, als müsse er seinen Leib schützend um die Figur legen. Er hielt jedoch an sich, um sich auf dem Markte nicht der Lächerlichkeit preiszugeben, und fragte den Bildhauer stattdessen, ob er sein Kunstwerk zum Verkauf anböte.

»Mir gefällt Eure Statue außerordentlich«, sagte er, »und hätte ich genügen Dukaten, würde ich sie Euch auf der Stelle abkaufen.«

Der alte Bildhauer besah sich den Schuster und schmunzelte. Ein solcher Knabe, so dachte er, ist gerade zart und ansehnlich genug, um mir Muster für neue Kunstwerke zu sein. Ja, vielleicht ist er sogar noch schöner als der Prinz, legt er erst all seine Gewänder ab? Und er betrachtete den Schusterjungen von Kopf bis Fuß. Dabei entdeckte er die Sandalen, die jener bei sich trug, und rief erfreut:

»Dich schickt der Himmel! Lange bin ich vom Schloss bis hierher ins abgelegene Dorf gewandert und meine Schuhe sind völlig zerschunden. Leichte, neue Sandalen wie die, welche du bei dir hast, sind genau das, was meine müden Füße für den Rückweg brauchen.«

»Ich brachte sie zum Markt, um sie zu verkaufen«, sagte der Schuster. »Weil Ihr's seid, will ich stattdessen einen Handel vorschlagen. Ihr überlasst mir Euren tönernen Jüngling und ich schenke Euch dafür die Sandalen.«

Der Bildhauer willigte er in den Handel ein, reichte dem Schuster die Figur und probierte das geflochtene Schuhwerk an. Als es wie angegossen passte, freute er sich sehr und trat augenblicklich den Heimweg an. Der Schuster sah nicht mehr, wie heiter und beschwingt der alte Mann das Dorf verließ, denn seine Augen ruhten liebevoll auf der leblosen Statue.

»Dich nehme ich zu mir«, sprach er zärtlich zu ihr, »und bei mir wird es dir gut gehen.«

Aber ach, wie der junge Schuster heimkam und statt Brot und Käse eine Tonfigur anbrachte, wurde sein älterer Bruder böse und schmiss die Stiefel nach ihm, dass er blaue Flecke davon trug. Den Rest des Tages sprachen die beiden kein einziges Wort mehr miteinander. Für den Jüngeren war es ein Trost, dass er die Statue behalten durfte, und er stellte sie neben sein Bett, um sich daran satt zu sehen.

Nun fragt ihr euch gewiss, ob es wirklich dumme Verliebtheit war, die den jungen Schuster zu der Torheit trieb, ein Bildnis dieser Art einzuhandeln. Freilich war sein Tun solcher Albernheit geschuldet, jedoch nur zu einem Anteil. Er hatte nämlich durchaus seine Pläne mit dem Kunstwerk, und die flüsterte er vor sich hin, als er abends ins Bette stieg.

»Dieses Bildnis gleicht einem echten Jüngling bis aufs Glied, das sich schelmisch zwischen den beiden Schenkeln zeigt. Bisher war ich zu schüchtern, um meinen Altersgenossen meine Zuneigung zu zeigen. Würden sie mich doch gewiss auslachen, wenn ich töricht und unwissend ihre Leiber betaste. An diesem stummen Genossen aber kann ich üben, wie eine Hand zu gleiten, wie ein Finger zu bohren hat, und ich kann lernen, wie ich mein Köpfele neigen muss, um bei einem Kusse nicht mit der Nase des Gegenübers zusammenzustoßen.«

Sagt, das war doch außerordentlich klug gedacht für einen unerfahrenen Schuster, nicht wahr? Er ließ, um keine Zeit zu verschwenden, die Statue nicht erst am Bette stehen, sondern hob sie, noch ehe das Licht gelöscht war, zu sich aufs Laken, auf dass der irdene Kopf das Kissen mit ihm teilte.

»Nun will ich an deiner Schulter lehnend neben dir einschlafen, meinen Arm auf deiner Brust und mein Knie sanft an deinem Gliede«, wisperte er und zog die Decke über sich und die Tonfigur.

Wie der junge Schuster nun behaglich an seiner Statue lag – so behaglich es eben bei einem kalten, leblosen Bildnis geht – da hub jene plötzlich an zu reden:

»Nimm mein Glied, pack es an,
dass sich's regt und wachsen kann.
Drück und zieh, zieh und drück,
bringst uns beiden damit Glück!«
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M****b
Der Schuster schreckte auf und glaubte zuerst, er habe nur geträumt. Doch der irdene Jüngling wiederholte sein Sprüchlein, wenngleich sein Mund sich dabei nicht bewegte. Da fasste sich der Schuster ein Herz, griff nach dem Glied und tatsächlich: Es versteifte sich und wuchs in seiner Handfläche zu einer stattlichen Größe heran. Der Schuster drückte und zog und zog und drückte, bis der Ton ganz warm wurde. Er wusste, was bald geschehen würde, wäre es sein eigenes Glied. Bei einem künstlichen aber, was würde wohl hervorquellen, wenn er nicht innehielt? Lehm und Sand? Kleine Bröckchen Erde? Oder könnte gar eine weiche Glasur austreten, deren Tröpfchen die raue Hülle des Jünglings schmücken würden?

All diese Annahmen erwiesen sich als Irrtümer. Gerade, als die Statue ihr Sprüchlein zum dritten Male aufsagte und des Schusters Hand schon ganz wund gerieben ward, spritzten harte Geldstücke aus dem Glied hervor, sprangen auf den Boden und klingelten fröhlich. Dem Schuster schien es, als wolle der Strahl goldener Münzen kein Ende nehmen, doch irgendwann versiegte er und das tönerne Glied fand zu seiner ursprünglichen Gestalt zurück.

Von all dem Lärm erwachte der ältere Bruder. Ohne zu klopfen, betrat er die Schlafkammer und blieb staunend in seinen Stiefeln im Türrahmen stehen, als er den Haufen Geld auf dem Boden sah.

»Wo kommt das her?«, fragte er.
»Meinem Jüngling ist es entwichen«, sagte sein jüngerer Bruder. »Ei, Brüderle, schau! Lauter Dukaten sind's. Davon können wir Brot und Käse und noch vielerlei andere Dinge kaufen!«

Er erzählte, wie er die Münzen herbeigeschaffen hatte, allein der Ältere wollte es nicht recht glauben und fürchtete, sein Bruder wäre unter die Lügner und Diebe gegangen.

»Warte nur bis morgen Nacht«, sagte der junge Schuster. »Dann lege ich mich wieder neben die holde Statue und werde das Gleiche tun wie heute. Bleib sodann in meiner Kammer und du wirst sehen, dass ich Recht habe.«
»Abgemacht«, erwiderte der Ältere.

Nachdem sie am nächsten Tag Brot, Käse und einen großen Korb weiterer Leckereien besorgt hatten, schmausten sie am Abend, zählten die Dukaten, die übrig geblieben waren, und fanden sich dann in der Schlafkammer des jüngeren Bruders ein. Der legte sich, wie beim ersten Male, zum irdenen Jüngling, zog die Decke über sich und wartete, bis das Sprüchlein ertönte:

»Nimm mein Glied, pack es an,
dass sich's regt und wachsen kann.
Drück und zieh, zieh und drück,
bringst uns beiden damit Glück!«

Was dann geschah, brauche ich kein zweites Mal zu berichten. Es sei nur gesagt, dass der Ältere alle Stiefel vergaß, die er je getragen und geputzt hatte, als die Dukaten aus dem steifen Tongliede spritzten. Die beiden Schuster sammelten sie auf und warfen sie in eine alte Kiste, die sie noch von den verstorbenen Eltern hatten. Jede Nacht ging das nun so, bis die Kiste randvoll war, und die Brüder hatten fortan ein gutes Leben.

Freilich blieb es in einem kleinen Dorf wie diesem nicht verborgen, wie reich die Schuster plötzlich waren. Vom Bäcker verlangten sie das beste Brot, vom Metzger die dicksten Würste. Ihre Stiefel und Sandalen, Pantoffeln und sonstigen Schuhe indes boten sie nur noch selten auf dem Markte an. Den Nachbarn, einem übellaunigen Ehepaar, gefiel das gar nicht. Neid und Neugier brachte sie dazu, die Schuster heimlich zu beobachten, denn sie wollten um jeden Preis hinter ihr Geheimnis kommen. Weil aber die Fensterläden des Nachts geschlossen waren, kamen sie nicht dahinter, wo all die goldenen Dukaten herrührten.
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»Also braucht es eine List«, sagte die Nachbarin zu ihrem Gatten. »Höre zu! Morgen wirst du so tun, als kämest du trunken aus dem Wirtshause. Ich werde ein Gezeter mit dir veranstalten, wie es in solchen Fällen üblich ist, dass es jeder hören kann. Ja, sogar die Bratpfanne werde ich nach dir werfen. Du aber flüchte direkt zu den Schusterbrüdern und bitte um Unterschlupf, bis du deinen vermeintlichen Rausch ausgeschlafen hast und mein vermeintlicher Ärger verraucht ist. Die Brüder sind gutmütig und arglos. Sie werden dich aufnehmen und du kannst ihnen ihr Geheimnis um den plötzlichen Reichtum entlocken. Ich werde derweil heimlich unter dem Fenster stehen und mithören, was gesprochen wird.«

Als es Nacht geworden war und Zeit, sich schlafen zu legen, vernahmen die Brüder drüben aus dem Nachbarhause einen grauenhaften Lärm. Es heulte und polterte, kreischte und stampfte, und man hörte die Frau zetern und den Mann fluchten und wäre nicht dahinter gekommen, dass alles nur List und Verstellung war. Endlich stürmte die Haustüre auf und der Mann rannte heraus mit ringenden Händen, nur leidlich bekleidet. Die Frau stand an der Schweller und schwang drohend die Bratpfanne.

»Ach, habt Erbarmen«, rief der Nachbar den Schusterjungen zu, »schenkt mir Zuflucht vor dem Weibe! Sie zürnt mir, weil ich im Wirtshause ein paar Tropfen zu viel genoss, und wird mich windelweich prügeln, traue ich mich diese Nacht noch einmal zu ihr. Gewährt mir Unterschlupf in eurer Werkstatt, bis ihre Wut sich gelegt hat.«

Und er fiel vor ihnen auf die Knie, als ob er sich vor Verzweiflung und Trunkenheit nicht mehr halten konnte. Die gutmütigen Brüder hatten Mitleid mit dem falschen Freund und bereiteten ihm ein Nachtlager in der Kammer des Älteren. Als nun alle sich zur Ruhe gelegt hatten, begann der Nachbar ein lautes Schnarchen. Er verstellte sich aber nur, damit die Schusterjungen glaubten, er beobachte sie nicht. In Wahrheit schlich er an die Kammertüre des anderen Bruders, spähte durchs Schlüsselloch und sah, wie sich der junge Schuster an der Statue zu schaffen machte. Im ersten Augenblick wäre er vor Belustigung beinahe mit dem Kopf an die Tür gestoßen. Als er aber die harten Dukaten aus dem tönernen Gliede fliegen sah, raunte er zu sich:

»Nun kenne ich das Geheimnis. Na wartet, ihr Bürschchen, euer Dukaten-Spritzerle hat euch zum letzten Mal beschenkt.«

Er wartete, bis die Schuster ihre Dukaten in ihre Kiste getan und sich zu Bette gelegt hatten. Als ihr Atem ruhig und gleichmäßig ging und sonst kein Laut mehr zu hören war, öffnete er ganz leise die Kammertür, zog die Statue vorsichtig aus dem Bette des jüngeren Bruders und trug sie hinüber zu seinem Nachtlager. Dort öffnete er die Fensterläden und musste nicht lange ins Dunkel starren, bis er seine Frau entdeckte. Die saß nämlich bereits an der Hauswand und wartete ungeduldig.

»Da bist du ja endlich«, herrschte sie ihren Mann an. »Was hast du herausgefunden?«
»Die Brüder haben eine Zauberstatue, die muss man nur ordentlich am Gliede bearbeiten, dann spritzt sie goldene Dukaten. Ich reiche sie dir hinaus, doch gib acht, sie ist recht schwer!«

Gesagt, getan. Die Frau nahm die Statue entgegen und die Gier nach Geld verlieh ihr die nötige Kraft, um sie ganz allein zu sich nach Hause zu schleppen. Ihr Mann hingegen blieb in der Schusterwerkstatt bis zum nächsten Morgen und führte sein böses Spiel noch bis zum Ende fort.
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»Meinen kleinen Rausch habe ich ausgeschlafen«, grüßte er die Brüder, als sie aus der Kammer traten, »und der Ärger meines Weibes wird nunmehr auch verraucht sein. Am besten gehe ich hinüber und frage sie, ob wieder Frieden zwischen uns herrscht. Doch sagt, meine Freunde, warum schaut ihr so traurig drein?«

»Wir besaßen bis gestern Abend ein schönes Bildnis eines Jünglings, doch heute Morgen können wir es nirgends finden«, klagte der jüngere Bruder.

»Ei, es wird doch nicht gestohlen worden sein?«, fragte der Nachbar scheinheilig. »Ich habe tief geschlafen und keinen Eindringling gehört. Lasst mich euch trotzdem suchen helfen, ob wir nicht eine Spur finden.«

Sie schauten in jede Ecke der Werkstatt und gingen hernach hinaus, um alle vier Wände von außen zu untersuchen. Die Statue indes blieb verschwunden.

Die Brüder ließen betrübt die Köpfe hängen. Der Nachbar schenkte ihnen noch ein paar tröstende Worte, ehe er sich verabschiedete und nach Hause eilte. Dort erwartete ihn bereits seine Frau, die sich mit dem irdenen Jüngling ins Bett gelegt hatte. Sie schimpfte:

»Ich reibe und schüttele daran, allein es tut sich nichts!«
»Du Dummerle«, erwiderte ihr Gatte. »Dieser Bengel wird sich gewiss nur von Mannsbildern befummeln lassen.«
Er legte sich dazu und sogleich begann die Statue zu sprechen:

»Nimm mein Glied, pack es an,
dass sich's regt und wachsen kann.
Drück und zieh, zieh und drück,
bringst uns allen damit Glück!«

Das freute die Nachbarn von Herzen und der Mann nahm das Glied und tat, wie geheißen. Die Frau holte eine Truhe herbei, die war viel größer als die Kiste der Schuster, und darin sollten alle Dukaten fließen.

»Mach's ihm gut, mach's ihm fest«, riet sie dem Gatten, »dann spritzt gleich ein ganzer Haufen heraus!«

Und der Mann mühte sich ab, bis das versteifte Tonglied zu spritzen begann. Doch – o weh – was war das? Statt blanker Dukaten schoss weißer, glitschiger Samen heraus; wie bei einem echten Manne.

Der erste Spritzer ging dem Mann ins Auge.
»Autsch, das brennt!«, brüllte er.
Der zweite Spritzer traf die Frau.
»Igitt, wie das klebt in den Haaren«, schalt sie.
Der dritte Spritzer fiel zu Boden, just in dem Moment, als die Eheleute davonlaufen wollten. Sie rutschten auf dem Samen aus, fielen auf den Hosenboden und holten sich ein paar Beulen an Stellen, bei denen man vordem nicht wusste, dass dort überhaupt Beulen wachsen können.

Und weil sie nicht wussten, was schief gegangen war, gaben sie einander die Schuld an der Misere, zankten und warfen die Statue achtlos aus dem Hinterfenster, wo sie auf dem Misthaufen landete.

Ach, hätten die Schusterjungen nur daran gedacht, dort nach ihrem verschwundenen Jüngling zu schauen! Allein, es kam alles ganz anders. Zwar merkten die beiden Schuster, dass ihre Nachbarn sie nicht mehr grüßten und auch miteinander kaum noch ein Wort wechselten, aber sie dachten sich nichts dabei, denn sie mussten in ihrer Werkstatt nun wieder fleißig arbeiten. Mit den Dukaten aus der Kiste gingen sie fortan sparsam um, damit das Geld nicht so schnell zur Neige ging.
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Nun geschieht es in der Welt manchmal, dass ausgerechnet dort ein Pflänzlein keimt, wo man es am wenigsten erwartet. Es traf sich nämlich, dass der Prinz, der die Ursache all dieser Verwicklungen gewesen ist, von seinem Vater zur Grenzbesehung an den Rand seines Reiches geschickt wurde. Somit kam er auch an dem Dorfe vorbei, wo ohne sein Wissen sein Bildnis gelandet war. Als er gerade daran vorbei ritt, begann es zwischen seinen Schenkeln zu zwicken und zu zwacken, wie es bei jungen Burschen häufiger der Fall ist, die ihr wallendes Blut noch nicht in Zaum halten können. Er stieg von seinem Pferd und befahl seinen Dienern, langsam weiter zu traben, während er sich zurückzog. Nur wo sollte er seinem Bedürfnis nachgehen? Ein fremdes Haus wollte er nicht betreten, nur um seinem königlichen Gliede Erleichterung zu verschaffen, und in aller Öffentlichkeit ziemte es sich nicht, den Begierden des Leibes einfach so nachzugehen. Er schaute um sich und entschied sich bei der Wahl für ein geeignetes Versteck ausgerechnet für den Misthaufen.

»Hinter den werde ich mich stellen, mein Gemächt von seinem Gefängnis befreien und dem Drucke nachgeben, der sich in mir aufgestaut hat«, sagte er.

Der Prinz lief zum Misthaufen, und weil seine Beine ihn vor lauter Erregung kaum noch tragen wollten, suchte er nach einer bequemen Sitzmöglichkeit. Er gewahrte das irdene Bildnis und meinte, das würde sein Gewicht schon tragen. Noch im Niedersetzen durchzuckte es ihn, dass er das Antlitz dieser Statue schon irgendwo gesehen habe, aber da war es schon zu spät. Die vermeintlich leblose Figur biss ihn mitten ins Gemächt und war nicht mehr zu lösen, so sehr der Prinz auch daran zog und zerrte. Im Gegenteil, je mehr Kraft er aufwand, desto fester bohrten sich die Zähne in das königliche Glied.

Kein Wunder, dass er da aufjaulte wie ein geprügelter Hund. Die Diener, die schon recht weit entfernt waren, hörten ihren Herren um Hilfe schreien und galoppierten zurück zum Dorfe. Der Anblick seiner Qual entsetzte sie und nur die Mutigsten näherten sich ihm und versuchten, ihn vom Dukaten-Spritzerle zu befreien. Es war indes nichts zu machen. Das Dukaten-Spritzerle ließ nicht locker und dem Prinzen war es, als kniffe es ihm sogar in die hoheitlichen Weichteile. Tränen rannen ihm aus den Augen, der Atem ging ihm stockend und dunkelrot war sein Gesicht. Da konnten die Diener nichts anderes tun, als ihn mitsamt der Statue in eine Kutsche zu heben, seine Blöße mit einer Decke zu umhüllen und zurück zum Schloss zu schaffen.

»Vielleicht wissen die Ratgeber Eures Vaters, was zu tun ist«, trösteten sie den Prinzen.

Der jammerte und klagte in einem fort und verfluchte das Zwacken und Zwicken, das ihn zum Misthaufen geführt hatte. Sobald das Schloss erreicht war, ließ man alle Weisen des Landes herbeirufen. Zwar versuchten sie, ein Mittel gegen das Unglück zu finden, doch jede Salbe, jedes Pulver und jede Zange versagte.

»Die Statue stammt von dem alten Bildhauer, der vor dem Schlosse seine Kunst betreibt«, sagte da der Prinz und presste die Zähne zusammen, um seine Schmerzensschreie zu unterdrücken. »Holt ihn auf der Stelle. Er muss wissen, wie man mich erlösen kann!«

Der Befehl wurde ausgeführt, Erlösung brachte er keine. Der Bildhauer war nämlich selbst überrascht, welche Fähigkeiten seine Figur plötzlich besaß, und gab zu, sich vor ihr zu fürchten. Nun blieb dem König nichts anderes übrig, als im ganzen Land verkünden zu lassen:

»Wer meinen Sohn von der Pein seines Gemächtes zu befreien vermag, sei es Weib oder Mann, soll mit ihm die Ehe eingehen und das halbe Königreich erhalten!«
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Da hättet ihr die Leute sehen sollen, wie sie in Scharen ankamen und sich wichtig machten. Freilich, viele von ihnen erschienen nur, um sich an dem Schauspiel zu ergötzen, das sich ihnen bot. Andere hofften sehrwohl, ein Mittel der Erlösung gefunden zu haben. Es wurde mit Hammern auf die Staute eingeschlagen, doch die zeigten keine Wirkung. Kaltes Wasser wurde über das königliche Gemächt geschüttet, doch es schrumpfte nicht genug, um durch die Zähne vom Dukaten-Spritzerle zu gleiten. Schon war der Prinz bereit, den besten Arzt holen zu lassen, damit er ihm das Glied einfach abschneide. Das Glück wollte indes, dass es soweit nicht kommen musste.

Die Botschaft von der Qual des Prinzen erreichte gerade rechtzeitig das Dorf am Rande des Landes. Die Schuster erkannten aus der Beschreibung der Statue sogleich, dass es sich um ihr Dukaten-Spritzerle handeln musste, und der Jüngere erhielt vom Älteren die besten Stiefel, die er je gefertigt hatte, mit den Worten:

»Lauf, so schnell du kannst, zum Schlosse, Brüderle! Denn nur du kannst den Prinzen erlösen, dessen bin ich gewiss.«

Die Stiefel trugen den Schusterjungen sicher und zügig übers Land, bis er das Schloss erreichte. Wie er in den Thronsaal geleitet wurde, erkannte er schon von Weitem seinen irdenen Jüngling und rief:

»Ach, mein schöner, stummer Genosse! Mein Dukaten-Spritzerle! Was machst du da für törichte Sachen?«

Die Statue, welche die Stimme dessen hörte, der sie liebte, ließ auf der Stelle ihre Beute fahren und rief:

»Nimm mein Glied, pack es an,
dass sich's regt und wachsen kann.
Drück und zieh, zieh und drück,
bringst uns beiden damit Glück!«

»Nein«, entgegnete der Schusterjunge, »das will ich nicht tun. Meine Hände wollen erst nach dem bedauernswerten Glied des Prinzen greifen, um es zu streicheln und zu heilen. Das hast du nämlich arg zugerichtet, böses Dukaten-Spritzerle.«

Der erschöpfte Prinz lächelte dem Schusterjungen dankbar zu und ließ ihn gewähren. Siehe, mit jeder Berührung, die der Retter tat, schwand ein blauer Fleck und heilte ein Stück der Verletzung, bis das königliche Glied wieder schön und stattlich war wie eh und je. Die Umstehenden staunten über das Wunder und wollten wissen, was es damit auf sich hatte. Nur der Bildhauer ahnte die Antwort und raunte:

»Nach schlimmen Schmerzen und Qualen hat der Prinz zu seinem Liebesglück gefunden.«

Wie versprochen, vermählte der König seinen Sohn mit dem Schuster und beide lebten als die glücklichsten Menschen auf der Welt.

Und was wurde aus dem Dukaten-Spritzerle? Das wurde zum älteren Bruder zurückgeschickt, wo es maßgeschneiderte Stiefel bekam, die es – sooft es seinem neuen Besitzer danach gelüstete – mal mit harten Dukaten, mal mit klebrigem, glitschigen Samen füllte.

ENDE

aus "Vierzig schwüle Nächte" Band IV (von Xaver Ludwig Cocker)
edited once100
B***p
Hihihi, ich kenne davon die Vorlage. Ich glaube, die ist von Bechstein. Die müsste man übrigens mal verfilmen, finde ich.
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T*********u
Klasse! Wirklich gut geschrieben!
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